RHEINISCHE Post vom Freitag, 14. März 1997
Von NORBERT STIRKEN
Angelika Kasching verwandte bei der Gestaltung ihres künstlerischen Kreuzweges Gerüstbretter - alte Gerüstbretter, vielfach benutzt, betreten und getreten. Auf den ersten Blick ist der Betrachter irritiert. Die 14 Stationen des Leidens Jesu Christi entsprechen nicht den vertrauten bunten Gemälden, den naturalistischen Holzreliefs. So sagt die in Lank-Latum lebende Künstlerin selbst: "Wer meinen Kreuzweg verstehen will, der muß die Bibel zur Hand nehmen."
Die heilige Schrift als Hilfe
Gemeint ist, daß die Zuordnung im traditionellen Sinne auf Anhieb nicht leichtfällt. Mit Hilfe der heiligen Schrift erschließt sich, welche ihre Kreationen zum Beispiel für das Zusammenbrechen unter dem Kreuz oder die blutige Geißelung mit der Dornenkrone steht. Diejenigen, die sich einlassen auf die mit Blei, Draht, 22karätigem Gold und Erde aus unterschiedlichen Ländern und Städte bearbeiteten Gerüstbretter, dürften ohne Schwierigkeit nach- vollziehen, welche Gedanken und Gefühle Angelika Kasching in ihre Arbeit hineingelegt hat.
Instinktsicher wählte sie ein Medium, das sich bei näherer Betrachtung als wahrer Glücksgriff entpuppt. “Selbst ein geschundenes Stück Holz kann
Glaube als Gerüst für das Leben
Ausgangspunkt religiösen Denkens sein. Mir wurde bewußt, wie bezeich- nend es für unsere heutige Zeit ist, daß wir Menschen unsere Augen meistens verschließen vor der Allgegenwart von Hinweisen zu Gott", sagte Angelika Kasching.
Gerüstbretter als Teile eines Gerüsts stehen in der Realität für Sicherheit, aber auch für Hilfestellung und sind gleichermaßen selbst ein Bauwerk. Nur selten lassen sich die Eigenschaften eines Mediums so vollständig auf das übertragen, wofür es als Metapher ausgewählt würde. Gerüstbretter stehen hier für den Glauben, für die Religion, für die Kirche, für Gott. Ist es doch für den Christen der Glaube, der ihm bei seinem täglichen Tun eine Hilfe ist, der ihm die Sicherheit gibt, richtig
zu handeln und zu denken. In der kontinuierlichen Bewährung schafft der Mensch sein Bauwerk, sein Lebenswerk in der Aussicht - nach dem irdischen Abschnitt ganz nahe zu sein bei Gott. Weitere Über- legungen fügen sich nahtlos ein in ein stimmiges Bild. "Für das Leben, das gerade im Leid liegt - auch das Holz hat ja früher einmal als Baum gelebt - scheinen wir an der Schwelle zum dritten Jahrtausend nach Christi Geburt immer blinder", erkannte die Schülerin von Professor Claus Köhler-Achenbach.
Unendliche Güte
Über das Medium hinaus sind die Materialien mit Bedacht gewählt. Gold für den Glanz und die Herrlich- keit Jesu, Blei steht für die Last, das Schwere, das Leid. Gott hat seinen Sohn auf die Erde geschickt, um die Menschen zu erlösen. So verwundert der Gebrauch von gemischtem Humus nicht. Angelika Kasching sieht bei ihrem Kreuzweg nicht das Leid und die Schmerzen im Vorder- grund, sondern verweist auf die unendliche Güte, die sich dahinter verbirgt. Welche. Güte muß Jesus besessen haben, um eine solche Last für andere auf sich zu nehmen, fragt sie. "Mein Kreuzweg hat eine 15. Station, die mir wichtig ist. ,Parzival - Die Tür zum dritten Jahrtausend' trägt die Gewißheit in sich, daß Jesus nicht umsonst gestorben ist."