Vorwort von Prof. Dr. Willehad Paul Eckert OP

Gott will im Dunkel wohnen und hat es doch erhellt. Als wollte er belohnen, so richtet er die Welt. Der sich den Erdkreis baute, der lässt den Sünder nicht. Wer hier dem Sohn vertraute, kommt dort aus dem Gericht.

Jochen Klepper (1903-1942)

Diese letzte Strophe aus dem Lied „Die Nacht ist vorgedrungen" schrieb Jochen Klepper 1938. Aufgenommen wurde sein Lied in das „Gotteslob", das katholische Gebet- und Gesangbuch der Deutschen Bistümer. Es ist ein Gedicht eines evangelischen
Dichters, dessen Freund der katholische Dichter Reinhold Schneider war. Gemeinsame Leiderfahrung während des Dritten Reiches hatte sie zusammengeführt. 1938 ist das Jahr der Reichspogromnacht. Das Schicksal, das den Juden im Herrschaftsbereich Hitlers beschieden war, begann sich mehr und mehr zu verdüstern. Jochen Klepper geht zu seiner Frau und zu seiner Stieftochter. Ihr Schicksal wollte er mit ihnen teilen und ging darum, als die Deportation für Frau und Tochter unabwendbar war, mit ihnen in den Tod. Es war im Advent 1942. Unter die Adventslieder ist nun auch sein Lied aufgenommen. Für mich ist es ein Zeichen der wachsenden Ökumene, die ja nicht zuletzt aus gemeinsamer Leiderfahrung geboren worden ist.
Über der Krippe steht das Kreuz. Darum wähle ich die Worte Jochen Kleppers für meinen Widmungstext zum Kreuzgang von Angelika Kasching. Ich tue dies umso lieber als der Kreuzweg dieser Künstlerin ökumenischen Charakter hat, sowohl in evangelischen als auch katholischen Kirchen gezeigt wird, in der Fastenzeit des Jahres 2003 in den Kirchen der Düsseldorfer Altstadt. Es ist allerdings ein ungewöhnlicher Kreuzweg, denn er verzichtet auf die herkömmlichen figürlichen Szenenbilder. Die Zahl der Stationen ist bewahrt, vierzehn, der allerdings wie das bei heutigen Kreuzwegstationen nicht ganz so selten ist, eine fünfzehnte hinzugefügt wird. Doch statt der üblichen Personendarstellungen begnügt sich der Kreuzweg der Angelika Kasching mit einer reinen Zeichensprache, dominiert von der Gestalt des Kreuzes. Das hat eine innere Berechtigung: Von Jesus, den wir den Christus nennen, den wir als den Sohn Gottes bekennen, gibt es kein authentisches Bild. Das Neue Testament gibt uns keinen Hinweis auf seine äußere Erscheinung. Wir kennen ihn als den am Kreuz Gestorbenen und bekennen uns zu ihm als dem vom Tode Auferstandenen. Christlicher Glaube beginnt - anders als der Islam, die Religion eines Triumphators - als der Glaube an einen Gescheiterten. Jedoch im Bekenntnis zum Zeichen des Scheiterns, dem Kreuz, ist bereits das Paradox der Auferstehungshoffnung beschlossen. Christlicher Glaube gewinnt gerade seine Stärke durch das Annehmen des Kreuzes mit seinem Leiden, seinem Schmerz, seinem Zerbrechen und dennoch dem Beharren darauf, dass im Kreuz bereits das Heil liegt, dass der Gekreuzigte identisch
mit dem Auferstandenen ist.
Der Kreuzweg der Angelika Kasching lädt zur Meditation über das Kreuz, die Stationen des Kreuzweges ein. Gerade indem sie sich dem Abbilden widersetzte, sich auf eine Zeichensprache beschränkt, gewinnt die Folge ihrer Kreuzwegstationen
eine tiefe Überzeugungskraft. Sie lädt zur Meditation ein. In ihrem Gestalten ist Angelika Kasching Joseph Beuys nahe. Wie dieser greift sie auf Materialien zurück, die scheinbar zum Abfall geworden sind, vor allem auf Holzbretter. Unlängst sah ich im Regensburger Domkreuzgang Personenskulpturen,
die aus dem Holz bereits gestorbener
Bäume gewonnen waren. Das hat mich tief beeindruckt.
Vielleicht ist Angelika Kasching in ihrem Gestalten solche Vorgehensweise gar nicht fremd. Sie nimmt das Material ernst. Sie weiß, dass die weggeworfenen Bretter, die von ihr aufgefunden und aufbewahrt werden, jeweils ihre Geschichte haben und sie weiß diese Geschichte auch für den Beschauer, den sie Fragenden ins Bewusstein zu heben. Sie belässt es nicht bei den Hölzern oder Brettern, sie bedeckt sie mit anderen Materialien, mit Blei z.B., aber auch mit goldener Farbe. Das Zerbrochene oder Angeschlagene gewinnt einen Hoffnungssinn. Damit korrespondiert ihre zeichenhafte
Kunst mit dem Sinn der Botschaft von Tod und Auferstehung. So setzt sie ganz absichtsvoll zur Kennzeichnung einer jeden Station, die das Holz interpretierenden, gar verwandelnden Materialien, die Drähte, das Blei, das Gold ein. Besonders in der fünfzehnten Station, die sie das Tor zum Leben nennt, gewinnt diese Verfahrensweise ihre Überzeugungskraft.
Hinter der Türe öffnet sich der Blick auf eine goldene Fläche. Der Tod wird zum Tor, zur Auferstehung.
Ihre Gedanken zum Kreuzweg hat Angelika Kasching verdichtet zu einer Dornenkrone. Das Bild dieser Dornenkrone steht über Steinssockeln, Steine aus Basalt, Pflastersteine, dazu Inschriften, Erinnerungen an Stationen des Leidens. Über den Sockeln sind Stäbe: Blei, Kupfer, Eisen, Stein, durch die sich ein vergoldeter Stacheldraht hindurchflicht. Die Namen, die Stationen bezeichnen, erinnern an Städte, in denen Schindung und Schändung besonders krass erlebt wurde, Hiroshima z.B.. Aber auch an die Leiden der Kinder wird erinnert. Wer könnte bezweifeln, dass Kinder diejenigen sind, die am meisten von den Leiden, von Krieg und Hunger betroffen sind. Iwans Anklage aus den Brüdern Karamasow, dass die Leiden der Kinder am meisten Gott widersprechen, waren auf das Leid des Dichters Dostojewski selbst zurückzuführen. Ich denke jedoch nicht nur an die kriegsbedingten Leiden, sondern auch daran, dass jedes Leid, das ein Kind tragen muss, letztlich ein unlösbares Problem darstellt. Das Kind eines guten Freundes starb im Alter von sieben Jahren an einem Sarkom, einem unerwartet auftretenden Krebsleiden. Mein Mitbruder, der vor fast vierzig Jahren schon verstorbene
Laurentius Siemer, hatte sich vorgenommen,
in seinem letzten Fernsehbeitrag zu dieser Thematik Stellung zu nehmen. Aber er kam nur noch dazu, den Satz auf Papier zu schreiben: „Warum muss ein unschuldiges Kind sterben?", als ihm der Tod die Feder aus der Hand nahm.
Die Antwort konnte er nur finden in der Begegnung mit dem ihn heimholenden Gott. Auch uns ist nicht beschieden, eine gültige Antwort zu finden. Dennoch werden wir nicht trostlos gelassen. Im Betrachten der Kreuzwegstationen und der Dornenkrone von Angelika Kasching wird uns Trost zuteil.

Prof. Dr. Willehad Paul Eckert OP